Sind Sie Ihrem Kind unterhaltspflichtig, soll der Selbstbehalt sicherstellen, dass Ihr eigener Lebensunterhalt gewährleistet bleibt. Was ist nun, wenn das Kind über den regulären Kindesunterhalt hinaus Mehr- und Sonderbedarf geltend macht, und Sie so anscheinend unter Ihren vormals unantastbaren Selbstbehalt gedrückt werden? Im Gesetz gibt es keine eindeutigen Regelungen dazu, jedoch hängt die Antwort oft davon ab, ob es sich um Sonderbedarf oder Mehrbedarf dreht. Möchten Sie das Ganze im Übrigen sofort in einer professionellen Unterhaltsberechnung gelöst wissen, finden Sie hier den Einstieg mit den wichtigsten Fragen dazu!
Was ist der laufende, reguläre Kindesunterhalt?
Leben die Eltern eines Kindes getrennt, ist derjenige Elternteil, der das Kind nicht betreut, gegenüber dem Kind unterhaltspflichtig. Um den Unterhalt zu berechnen, wird in der Praxis auf die Düsseldorfer Tabelle zurückgegriffen. Der nach dem Alter des Kindes und dem unterhaltsrelevanten bereinigten Nettoeinkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils zu berechnende laufende, reguläre Unterhalt deckt den zu erwartenden Bedarf des Kindes ab.
Dieser reguläre Kindesunterhalt schließt auch den absehbaren Mehrbedarf ein. Fällt ein solcher für das Kind an, muss er bereits bei der Festsetzung des regulären Kindesunterhalts geltend gemacht und berücksichtigt werden. Eine nachträgliche Geltendmachung scheidet in der Regel aus.
Praxisbeispiel
Mehrbedarf bei Allergiebehandlung
Ist das Kind aufgrund einer Allergie auf eine bestimmte Ernährung angewiesen, scheidet Mehrbedarf aus, wenn die Allergie von Anfang an oder zumindest im Zeitraum der Ehe der Eltern bestand. Hat sie sich erst nachträglich entwickelt, nachdem wegen der Trennung oder Scheidung der Eltern der reguläre Kindesunterhalt festgesetzt war, kann kaum noch Sonder- oder Mehrbedarf begründet werden.
Was ist Sonderbedarf?
Das Gesetz definiert Sonderbedarf als einen unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarf (§ 1613 Abs. II BGB). Dabei ist vornehmlich auf die Voraussehbarkeit und Abschätzbarkeit der Kosten abzustellen. Ist dem betreuenden Elternteil eine vorausschauende Bedarfsplanung möglich, gehören solche Kosten zum allgemeinen Unterhaltsbedarf sind kein Sonderbedarf. Ein laufender Sonderbedarf ist insoweit denknotwendig ausgeschlossen.
Klassenfahrten als Sonderbedarf?
Typisches Beispiel sind Klassenfahrten. Hier lässt sich nicht eindeutig festlegen, ob und inwieweit Klassenfahrten Sonderbedarf darstellen. Vielmehr kommt es auf die Umstände im Einzelfall an. Das Amtsgericht Detmold hat klargestellt, dass die Kosten einer Klassenreise in Höhe von 390 € keinen Sonderbedarf darstellen. Die Kosten seien nicht außergewöhnlich hoch und hätten bei vorausschauender Planung aus dem normalen Kindesunterhalt angespart werden können. Es wäre der Kindesmutter zumutbar gewesen, in dem Jahr der Klassenreise monatlich 32,50 € (8,2 % des laufenden Unterhalts) für die Klassenreise anzusparen (AG Detmold, Urteil vom 19.2.2015, Az. 32 F 132 13). Da sich auch die Mutter als Elternteil an der Reise beteiligen musste, reichte es sogar aus, monatlich 16,25 € des laufenden monatlich Unterhalts für die Klassenfahrt zurückzulegen.
Konfirmationskosten als Sonderbedarf?
Ansonsten wird gerne auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs verwiesen (BGH, FamRZ 2006, 612). Dabei ging es um die Forderung zweier Kinder, die zusätzlich zum regelmäßigen Barunterhalt die Kosten für eine Konfirmationsfeier und für eine Konfirmandenfahrt verlangten. Der BGH lehnte Sonderbedarf ab, da die zusätzlichen Kosten spätestens mit dem Beginn des Konfirmandenunterrichts mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorauszusehen waren und deswegen bei der Bemessung des laufenden Unterhalts hätten berücksichtigt werden können. Es wäre Aufgabe des betreuenden Elternteils gewesen, entsprechende Rücklagen aus dem laufenden Unterhalt zu bilden.
Da aber auch hierbei auf den Einzelfall abzustellen ist, kann Sonderbedarf im Ausnahmefall trotzdem noch in Betracht kommen, wenn die Kosten einer solchen Reise unerwartet hoch sein sollten und es dem betreuenden Elternteil aufgrund seiner finanziell schwierigen Verhältnisse nicht zuzumuten ist, allein für den Kostenaufwand aufkommen zu müssen.
Faustregel: Je geringer der monatliche Kindesunterhalt ist, desto eher wird ein Anspruch auf Sonderbedarf in Betracht kommen. Bei geringen laufenden Unterhaltszahlungen ist eine Rücklagenbildung eher ausgeschlossen, als wenn regelmäßig monatlich großzügige Beträge zur Verfügung gestellt werden.
EXPERTENTIPP
Hilfen für finanziell schwächere Familien in Anspruch nehmen
Geht es um Klassenfahrten, übernehmen oft öffentliche Leistungsträger die Kosten. Das Kind ist dann verpflichtet, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. Der an sich unterhaltspflichtige Elternteil darf die Forderung wegen des Sonderbedarfs zurückweisen das Kind auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Leistung verweisen.
Antwort: Kann Sonderbedarf am Selbstbehalt kratzen?
Im Hinblick auf diese Grundsätze ist auch die Ausgangsfrage zu beantworten. Fällt in begründeten Fällen Sonderbedarf an, wird der Bedarf regelmäßig in einer Summe fällig. Es nutzt dem Kind zunächst wenig, wenn Sie auf Monate hinaus verteilt Zahlungen leisten würden und der aktuell anfallende Sonderbedarf nicht gedeckt werden kann. Als unterhaltspflichtiger Elternteil wären Sie insoweit nur verpflichtet, sich an dem Sonderbedarf des Kindes zu beteiligen, wenn Sie die Zahlung bewältigen können, ohne dass der eigene Selbstbehalt beeinträchtigt wird.
Haben Sie 1500 € im Monat zum Leben und macht das Kind beispielsweise 500 € Sonderbedarf geltend, bräuchten Sie nach dieser Beurteilung im Hinblick auf Ihren Selbstbehalt von 1400 € allenfalls einmalig 100 € als Sonderbedarf beizusteuern. Selbstverständlich bleibt es Ihnen unbenommen, sich darüber hinaus zu beteiligen und den Anteil aus Verantwortung und Wertschätzung gegenüber dem Kind auf mehrere Monate zu verteilen. Entlastend wirkt insoweit, als sich im Regelfall auch der betreuende Elternteil anteilig am Kostenaufwand beteiligen muss.
Was ist Mehrbedarf?
Mehrbedarf ist ein während eines längeren Zeitraums regelmäßig unerwartet anfallender Bedarf, der die üblichen Kosten übersteigt und deshalb im laufenden Kindesunterhalt nicht berücksichtigt werden kann.
Um den Mehrbedarf zu belegen, ist die Höhe der fortlaufenden Kosten oder bei unregelmäßigen Kosten die tatsächlichen Ausgaben für einen repräsentativen Zeitraum detailliert und nachprüfbar darzulegen (BGH, Urteil v. 11.4.2001, Az. XII ZR 152/99).
Praxisbeispiel
Mehrbedarf für Laptop-Unterhalt
Das Kind benötigt für den Schulunterricht einen Laptop, der im Monat laufende Kosten von 20 € verursacht. Da die Kosten über einen längeren Zeitraum regelmäßig anfallen, dürfte Mehrbedarf begründet sein.
Antwort: Kann Mehrbedarf am Selbstbehalt kratzen?
Beträgt Ihr unterhaltsrelevantes Einkommen beispielsweise 1500 €, wären Sie im Hinblick auf Ihren Selbstbehalt von 1400 € in der Lage, für den Mehraufwand des Kindes einen monatlichen Beitrag von theoretisch bis zu 100 € zu leisten. Ihre Zahlungspflicht bestünde so lange, wie das Kind auf den Mehrbedarf angewiesen ist. Da durch die laufenden monatlichen Zahlungen Ihr monatlicher Selbstbehalt nicht unterschritten wird, wären Sie zahlungspflichtig.
Welcher Elternteil zahlt was?
Hat das Kind Mehrbedarf, ist der Betrag als Zuschlag zum monatlichen Kindesunterhalt geltend zu machen. Für einen regelmäßigen Mehrbedarf haftet in der Regel allein der barunterhaltspflichtige Elternteil, zumindest insoweit, als der betreuende Elternteil nicht leistungsfähig ist. Andernfalls ist in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Verhältnissen und einer Interessenabwägung auch der betreuende Elternteil an den Kosten zu beteiligen (§ 1606 Abs. III S. 1 BGB).
Sind beide Elternteile leistungsfähig, sind beim Sonderbedarf und Mehrbedarf beide Elternteile verpflichtet, entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zum Kindesunterhalt des Kindes beizutragen. Dabei ist auf Seiten des unterhaltspflichtigen Elternteils der bereits gezahlte Barunterhalt zu berücksichtigen und reduziert das verfügbare Einkommen.
Auf der Seite des Elternteils, bei dem das Kind lebt, ist gleichfalls ein Abzug für das Kind erbrachte Unterhaltsleistungen vorzunehmen. Auch wenn der Betreuungsunterhalt nicht in Geld dargestellt werden kann, wird eine Naturalunterhaltsleistung dieses Elternteils berücksichtigt. Aus dem auf Seiten jedes Elternteils verbleibenden Einkommen wird die Quote für den Sonderbedarf oder Mehrbedarf ermittelt (BGH FamRZ 20 22,1366).
Achtung: Sonderbedarf und Mehrbedarf richtig geltend machen
Wird Sonderbedarf verlangt, ist anders als bei sonstigen Unterhaltsforderungen für die Vergangenheit keine formal zusätzlichen Inverzugsetzung erforderlich (§ 1613 Abs. II BGB). Es genügt, den Sonderbedarf einzufordern. Sonderbedarf scheidet aber aus, wenn nach Ablauf eines Jahres seit seiner Entstehung der Anspruch nicht geltend gemacht wurde, es sei denn, der unterhaltspflichtige Elternteil ist in Zahlungsverzug oder der Anspruch wurde gerichtlich geltend gemacht.
Mehrbedarf hingegen kann für zurückliegende Zeiträume nur beansprucht werden, wenn eine formal ordnungsgemäße Inverzugsetzung erfolgt ist (Details siehe § 1613 Abs. I BGB.)
Alles in allem
In der Praxis steht die Rechtsprechung bei diesem Thema vor der Gratwanderung, die Interessen beider Elternteile in angemessener Form zu berücksichtigen und muss in Kauf nehmen, dass das Ergebnis oft beide Elternteile nicht zufrieden stellt. In Anbetracht der Interessen des Kindes muss es aber eine Lösung geben. Sollten Sie als unterhaltspflichtiger oder als unterhaltsberechtigter Elternteil betroffen sein, kann sich zur Vermeidung unnötiger Streitigkeiten empfehlen, den Unterhaltsanspruch mit der richtigen Argumentation vorzutragen oder zurückzuweisen. Gerne nutzen Sie als Basis dafür unsere Unterhaltsberechnung – hier geht es direkt zum Formular!